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Bye Bye Nurselife

Die juckende Schneggi, die einfach in die Apotheke gehen könnte ist in einer Notaufnahme genauso fehl am Platze wie der 29-Jährige mit 38 Fieber, der scheinbar nicht in der Lage ist, selbstständig n Dafalgan in seinen Rachen zu werfen, um sein großes Leid zu lindern.

Ich öffne das Fenster, damit ihre Seele rausfliegen kann. Das hat mir mal meine Lehrschwester so beigebracht. Wenn jemand stirbt, dann machst du das Fenster auf.

Ich weiss nicht, wie viele Seelen ich in den 19 Jahren habe fliegen sehen.

Für einige war es Zeit, da war es sicherlich erlösend. Andere haben mir fast das Herz zerrissen, weil es einfach zu früh war. Aber das ist auf keinen Fall der anstrengendste Part in dem Job, auch wenn das Außenstehende meist denken.

Für die, die mich noch nicht so lange kennen:
Ich habe in Deutschland erst meine Ausbildung im Rettungsdienst gemacht und lange in diesem Job gearbeitet. Irgendwann noch die Lehre zur Gesundheits- und Krankenpflegerin und u.a. an der Charité Berlin Mitte gearbeitet. Auf Grund der katastrophalen Bedingungen in Dtl. bin ich 2014 dann in die Schweiz ausgewandert.
Dort habe ich ein Jahr als „normale Pflegefachfrau“ am Bett gearbeitet, bis ich dann die Funktion der Abteilungsleitung übernommen habe. Da dann natürlich auch nochmal die Schulbank für gedrückt, denn ohne Papier biste ja nichts. Nachdem ich die Fresse voll hatte vom Hamsterrad war ich ein Jahr in meinem Van auf Reisen.

Damals mit vielen Fragezeichen im Kopf, was ich beruflich weiter machen möchte. Ich wollte nicht mehr in die Leitung, weil die Illusion, dass man dort nachhaltig am System was verbessern kann, wurde mir in meiner Zeit als Führungskraft definitiv genommen.

Pflegekräfte werden überall gesucht-man kann aus dem bunten Strauß einfach wählen.
Ich entschied mich für eine temporäre Stelle. Heißt, du bist bei ner Personalvermittlungsfirma angestellt und schaffst auf Abruf. Heute hier, morgen da. Mal auch länger an einem Ort, je nachdem, wie der Bedarf ist. Dat war lustig. Ich bin gut rumgekommen.

Da haben wir auch schon den ersten Fehler im Gesundheitssystem.

Als temporäre hast du keine Ahnung von den Standards der Institution, in der du gerade arbeitest, du bist ja vielleicht auch nur einen Dienst da. Bedeutet, du leistest nie so gute Arbeit, wie eine Fixangestellte. Nicht, weil ich nicht genauso lieb zu den Patienten wäre- aber vielleicht, weil ich ihr Dokumentationssystem nicht kenne, oder weil mir niemand sagt, dass ich im Nachtdienst auch noch die Betäubungsmittel bestellen müsste, die dann eben am nächsten Tag fehlen. Weil ich dem Privatpatienten nicht beantworten kann, wie er sich ins Klinik WLAN einloggen kann, weil ich keinen Plan hab und alleine für die ganze Station da bin. Ich hab niemanden, den ich fragen kann.

Dafür kann ich aber sagen, dass ich nur Spät-/ Nachtdienst mache. Das ich montags nie arbeite und das ich im Juli auch einfach mal 4 Wochen überhaupt keinen Bock habe, irgendwo n Dienst zu übernehmen. Für diese Freiheit verdiene ich n richtig fetten Schein mehr als jede Festangestellte. Ich muss an keine Fortbildung, erspare mir nervige Teamsitzungen und Zickenkrieg in den Teams. Wenn es mir irgendwo nicht passt, dann sag ich meiner Firma einfach, da will ich nicht mehr hin. Punkt. Obs daran liegt, dass die mir kein Ausfahrtsticket für die Tiefgarage gegeben haben (was der normale Mitarbeiter natürlich zahlen muss), oder ob mir einfach die Fresse von Schwester Olga nicht gepasst hat, muss ich niemandem sagen.

Es hat nur einen einzigen Nachteil. Brichst du dir die Knochen, dann bist du raus. Du kriegst keine Kohle, wenn du nicht arbeiten kannst.
Irgendwann hatte ich dann aber doch keinen Bock mehr auf das Zigeunerleben (oh, das darf man nicht mehr sagen, oder?) und wollte wieder n bissl ankommen an einem Ort.

Ich wollte weiterhin Abwechslung, n Funken Verantwortung und n geiles Team.

Menschen, die in der Pflege arbeiten sind schon n spezielles Volk, aber Leute, die sich in einer Notaufnahme anstellen lassen, haben 100% n riesen Ding an der Klatsche. So Leute mag ich.

Ich habe in einigen Teams gearbeitet in all den Jahren. Aber dieses, aus dieser Notaufnahme…poah, was für ein geiler Haufen. Ik musste mich mächtig beweisen, um da Fuß zu fassen. Die ersten drei Monate hat gefühlt niemand ein Wort mit mir gewechselt.
Ich war schließlich zum Arbeiten da. Ab und an gabs mal n kleinen Seitenhieb von jemanden, der mir gezeigt hat, dass ich noch einiges lernen muss.
Aber es kam der Tag und ich war drin. Und habe jeden einzelnen mit seinen Stärken und Schwächen kennengelernt.
Und die sind wichtig in so ner Bude. Du musst wissen, wer gut mit Kindern kann. Wer nicht so gerne ne Magensonde legt. Wer, wie ich, auf Kriegsfuß mit diesen verdammten Spülkathetern steht. Wer bei jedem ne aBGA trifft (arterielle Blutentnahme), wer blind jeden Port ansticht. Wer n dickes Fell hat und auch mit „schwierigen Pat.“ easy umgehen kann. Wer gipsen kann. Wer albanisch, türkisch, italienisch, französisch oder sonst was spricht. Wer die Betrunkenen gut händelt. Wer die treffsichersten Einläufe steckt.
Wir können alle miteinander arbeiten. Egal, wie lange wir schon nichts gegessen haben, egal wie durstig wir sind, oder wie voll die Blase ist. Egal ob draußen 15 Leute im Wartezimmer sitzen und der Gang schon voll liegt, wir haben einen unglaublich respektvollen Umgang miteinander, das hab ich selten irgendwo so erlebt.

Und dann sind da noch die Ärzte.

Auch die musst du zu nehmen wissen. Ich würde es mir nicht anmaßen Kompetenzen in Frage zu stellen. Aber du musst als Pflegefachfrau immer 100% on fire sein. Wenn der mir was sagt, was ich spritzen soll…und der Patient ist allergisch drauf…und wir haben es beide nicht auf dem Schirm. Dann ist schlussendlich er der Dumme, der es verordnet hat und ich die Dumme, die es gegeben hat.
Wenn ich ihn anrufe und sage, mir gefällt der Patient ganz und gar nicht, dann vertraut er mir und kommt gucken- auch wenn auf dem Monitor alle Vitalwerte entspannt aussehen.
Es ist eine extrem enge Zusammenarbeit mit dem ärztlichen Dienst. Es ist normal, dass es mit dem einen mehr Spaß macht als mit dem anderen. Es nervt mich, wenn die Diva rumzickt, weil sie noch nix zwischen die Kiemen bekommen hat. Es nervt mich auch, wenn mir ein Arzt sagt, welchem Patienten ich noch n Sandwich bringen soll, weil das für mich in ner Notaufnahme einfach mal absolut keine Priorität hat.
Aber dieses Team reguliert und erzieht sich einfach hammer mäßig selber- großartig.

Warum will ich das nicht mehr?

Weil es mich kaputt macht. Weil ich mit 100% gefühlt in dieser Hütte wohne. Weil ich alle drei Schichten arbeite. Weil meine freien Tage dafür drauf gehen, mich so weit zu erholen, dass ich wieder geradeaus gucken kann, um den nächsten Block mit sieben Diensten am Stück zu whuppen.
Weil für mich Leben mehr bedeutet als arbeiten. Und weil ich nach Feierabend auch noch ein Leben haben möchte und nicht komplett in den Seilen hängen will.
Ihr könnt auf den Balkon gehen und für uns Klatschen, ihr könnte auch noch zehn Pflegeinitiativen starten und behaupten, ihr würdet unseren Lohn anheben. Darum geht es mir persönlich nicht. Ich würde den Job auch für 15 000 Franken im Monat nicht mehr machen wollen.

Nicht, weil ich den Job nicht mehr liebe. Ich mache ihn mit voller Hingabe. Ich mag die Verantwortung, ich bin fasziniert vom menschlichen Körper und all dem, was durch die heutige Medizin möglich ist, dass ich gefühlt gar nicht satt werde, all das zu verstehen.

Ich kann mich wochenlang an einer schönen Patientensituation erfreuen…an einer zuckersüßen Omi, die mit mir Witze gerissen hat. Das muss ich auch, denn die zuckersüßen Omis sind leider eine vom Aussterben bedrohte Rasse. Und nachkommen tun die arroganten Arschlöcher, die wegen nem eingewachsenen Zehnagel oder Husten nachts um drei in die Notaufnahme kommen und rumbrüllen, weil sie nach 10 Minuten nicht drankommen.
Ich hab n verdammt dickes Fell. Ich war jahrelang bereit mich für Geld beschimpfen zu lassen (da unterscheiden sich die Spitäler und Abteilungen alle nicht). Immer und immer wieder. Mir von nem deliranten Oppa eine überbraten zu lassen (was mir tausend Mal lieber ist, als wenn der vollgekokste, sturzbetrunkene Familienvater einen Treffer mit seinem Fuß in meinen Bauch landet).

Die juckende Schneggi, die einfach in die Apotheke gehen könnte ist in einer Notaufnahme genauso fehl am Platze wie der 29-Jährige mit 38 Fieber, der scheinbar nicht in der Lage ist, selbstständig n Dafalgan in seinen Rachen zu werfen, um sein großes Leid zu lindern.
Ich könnte diese Liste endlos weiterführen, aber wahrscheinlich macht es mehr Sinn, darüber n Buch zu schreiben, was für Gegenstände man sich in den Hintern stecken kann oder wieviel verschiedene Arten es gibt, sich illegale Substanzen reinzujäten.

Aber der alte Mann, der ganz still vorne im Wartezimmer sitzt und leise vor sich hinjapst, weil er seit Tagen so schlecht Luft bekommt, der wird von den anderen Wartenden beschimpft, weil er vor ihren drankommt. Weil die Triage richtigerweise entschieden hat, dass da ein größeres Problem vorliegt als bei deinem Spritzpups, nachdem du mexikanisch gegessen hast.

Ich würde mir nie anmaßen, die Kassiererin im Aldi anzuschreien, weil sie irgendwas macht, was ich doof finde. Ich würde in der Post nie mit der Faust an die Scheibe schlagen, weil ich meiner Meinung nach zu lange warten muss. Ich würde einen fremden Menschen nie so niveaulos beschimpfen.

Aber in einem Krankenhaus, da kannst du das getrost machen. Keine Sorge, wir rufen nur in absoluten Ausnahmefällen die Polizei.

Denn wir sind schuld, dass du keinen Termin beim Hausarzt bekommen hast. Wir sind auch schuld, dass die Apotheke schon zu hat und du offensichtlich zu düsig bist, in die zu fahren, die 24h geöffnet hat. Wir sind auch schuld, dass du Schmerzen hast, schließlich haben wir ja das Küchenmesser genommen und dir damit alle Sehnen durchgehackt.
Wir sind auch schuld, dass du laut Google bei Kopfschmerzen prinzipiell n Hirntumor hast.

Wir sind immer schuld. Und wir lächeln trotzdem noch. Und wir geben trotzdem alles, was in unserer Macht steht, um dir zu helfen.

Ich bewundere jede meiner Kollegen, die diesen Job macht. Jede einzelne, egal ob auf ner Onko, auf ner Ortho oder in einem Pflegedienst.
Danke, dass ihr da seid und bitte, haltet durch. Irgendwann bin ich alt oder vielleicht auch schon ganz bald sehr krank, wer weiss das schon. Ich wünsche mir dann eine Pflegefachperson mit Humor und Kompetenz, die auch einfach mal meine Hand drückt und lächelt, zwischen all dem Stress, obwohl sie seit 8h nichts gegessen hat und dringend mal Pipi müsste.

Ich bin dran gebrochen. Ich kann und will das nicht mehr, weil ich zu egoistisch bin? Weil ich zu schwach bin? Weil ich mein Privatleben zu sehr mag?

Oder auch einfach nur, weil ich es nicht mehr möchte, weil es für mich persönlich nicht mehr stimmt.

Die Kagge ist am Dampfen- 2029 fehlen in der Schweiz schätzungsweise 20 000 Pflegekräfte, in Deutschland 500 000.
Ich bin sicher, wenn meine Zeit gekommen ist, sollte ich mir also lieber n bequemes Kissen für meinen knochigen Pops mitnehmen, da ich lange Zeit im Wartezimmer verbringen werden muss, bis ich mal an der Reihe sein werde.

Und wehe, die Weiber in weiss lächeln dann nicht, dann raste ich aus 😉.

Sollte mir je n Püpschen quer hängen oder ich auf die Schnauze fallen und mir die Knochen brechen…ich würde sofort in die Notaufnahme des Limmattalspitals kommen, weil ich 100% weiss, dass ich dort kompetent und freundlich behandelt werde.

Ich danke euch…Jungs und Mädels, für diese absolut geile Zeit.

Für die Gespräche (die man nur hinter verschlossenen Türen führen darf- da hört der liebe Gott nicht mit, sonst kämen wir nämlich alle in die Hölle).
Für all das, was ihr mir beigebracht habt und die tausenden von Lachanfällen, die wir gemeinsam hatten.
Für die Freundschaften, die ich mit einigen von euch aufbauen durfte (und das, obwohl ich doch gar keine Freunde haben wollte).

Ihr seid alle fucking heros- Amen, Schwester!